Auge um Auge und die ganze Welt ist blind
Gandhi
Was läuft hier schief?
Drei gelesene Frauen (vermutlich auch weiblich sozialisiert) sprechen auf einer öffentlichen Podiumsdiskussion über Sextoys und erwähnen richtigerweise, dass man beim analen Spiel immer Toys mit Stopp (bzw. Rückholmöglichkeiten wie Schnüre oder Ketten) nutzen sollte.
Dann schwenkt das Gespräch zu Männern, die mit verlorengegangenen Toys in Kliniken landen und sagen, sie seien auf etwas draufgefallen – das Publikum lacht.
Und relativ direkt danach kommt die Frage:
Wie kann man Männern die Angst vor Analsex nehmen, weil es mit „schwul sein“ assoziiert wird?
Was da passiert, ist mehrschichtig schief.
Lachen über andere – nicht mit ihnen
Witze funktionieren auf zwei Arten:
Entweder ich lache über mich – oder über andere.
Das eine kann verbindend und entlastend wirken, das andere ist oft erniedrigend und beschämend.
Die Moderatorin hat (vermutlich unbewusst und unabsichtlich) einen Witz auf Kosten von Männern gemacht, indem sie gesellschaftliche Stereotype reproduzierte.
Männer gelten gerne als dumm, einfach, schlicht – das zeigt sich auch in vielen Filmen: der Vater als fauler, etwas dümmlicher Typ, der sein Leben nicht im Griff hat (z. B. Die Simpsons, Alles steht Kopf…).
Genau deshalb funktioniert der Witz:
Wie blöd muss man sein, zu glauben, dass man mit so einer Erklärung in der Notaufnahme durchkommt?
Das Publikum lacht – aber nicht mit diesen Männern. Sondern über sie.
Dieses Lachen entlarvt nicht nur ein tiefsitzendes Schubladendenken, es verstärkt auch die Scham.
Und genau diese Scham sorgt dafür, dass Männer sich weiter zurückziehen, sich abspalten – von sich, von ihrer Lust, von offener Kommunikation.
Wenn Lachen zu Wut wird
Was dabei oft übersehen wird: Wenn ich ausgelacht werde, trifft mich das persönlich. Ich fühle mich abgewertet, klein, bloßgestellt.
Auch das ist Gewalt. Und Gewalt erzeugt Gegengewalt.
Manche wandeln diese Ohnmacht in Rückzug um. Andere in Wut. Und wenn diese Wut keine Sprache, keinen sicheren Raum und keine Reflexion findet, dann richtet sie sich oft gegen die, die sichtbar beteiligt waren – in diesem Fall: Frauen.
Nicht gerechtfertigt. Aber menschlich. Und gefährlich.
Die Personen, die sich zurückziehen, fallen oft gar nicht auf – außer vielleicht dadurch, dass sie sich irgendwann gar nichts mehr trauen.
Keine Frauen ansprechen, nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, nicht mehr tanzen, nicht mehr Teil sein.
Sie stehen am Rand. Im Eck.
Und verlieren damit nicht nur Anschluss – sondern auch Selbstvertrauen und soziale Verbindung.
Wenn du ein Mann bist und über das reden willst, was dir passiert ist:*
Die Community bietet einen Männer-Only-Chat an – einen geschützten Raum zum Austausch.
Und hoffentlich entstehen in Zukunft noch mehr solche Räume für Männer*, in denen Verletzlichkeit, Wut, Verwirrung und Heilung Platz haben.
Denn echte Veränderung braucht genau das: Raum, in dem auch männliche Perspektiven gehört und gehalten werden.
Der falsche Ort für die richtige Frage
Die Frage, wie man Männern die Angst vor Analsex nehmen kann, ist absolut berechtigt.
Aber in diesem Setting – ohne männlich gelesene oder queere Perspektiven auf dem Podium – direkt nach einem entwürdigenden Witz auf Kosten von Männern – wirkt sie deplatziert.
Ich frage mich: Wer auf dem Podium konnte hier aus eigener Lebenserfahrung berichten?
Wer konnte wirklich aufklären und empowern, wie es sich anfühlt, als Mann durch das Stigma in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden – und den sozialen Hierarchie-Abstieg zu erleben, der oft mit Gewalt einhergeht? Körperlich, psychisch, sozial.
Spannender Kontrast: Am Anfang der Veranstaltung lief ein Spot für einen queeren Sportverein – darunter schwule Männer, die Fußball spielen.
Warum braucht es solche Räume?
Weil genau diese fehlende Awareness für männliche und queere Perspektiven in vielen öffentlichen Gesprächen fehlt. Auch hier.
Ich weiß, wie es ist, durch massive körperliche Gewalt zu gehen – mit gebrochenen Knochen.
Ich weiß, wie es ist, sich selbst zu verleugnen. So lange, bis man es selbst glaubt.
Nur um dann in die nächste Falle zu laufen:
„Naja, Männer sind halt nicht so reflektiert. Die haben einfach noch nicht genug an sich gearbeitet…“
Und ja – ich sehe Parallelen zu dem, was viele FLINTA*-Personen durchmachen.
Aber: Das hier ist eine männliche Erfahrung.
Und die sollte von Männern, queeren Personen mit entsprechendem Background und Betroffenen erzählt werden – nicht über sie hinweg, von nicht betroffenen Personen.
Weise genug, um auszuweichen
Es fiel auch auf, dass die Gesprächspartnerinnen weise genug waren, der unbequemen Frage auszuweichen.
Das hat den Moment entschärft – war aber wohl eher intuitive Deeskalation als bewusste Moderation.
Ein strukturelles Muster
Was mich besonders beschäftigt: Dieses Phänomen begegnet mir nicht nur auf Panels, sondern auch in Awarenesstrainings oder Workshops.
Dort wird oft mit viel Sensibilität und Differenzierung über Diskriminierung und Zuschreibungen gesprochen – bis es um Männer geht, die stereotypisch oder toxisch handeln.
Dann kippt die Sprache. Dann wird verallgemeinert, gelacht oder abgeurteilt.
Das zeigt: Auch in sexpositiven, queeren oder aktivistischen Räumen gibt es blinde Flecken.
Und genau dort sollten wir besonders wachsam sein.
Damit meine ich nicht, dass man keine Fakten nennen oder über Gewaltverhältnisse sprechen darf – wer sie ausübt, wie sie verteilt ist, was systemisch dahintersteht.
Aber wie wir darüber sprechen, macht einen Unterschied.
Es geht darum, aware zu bleiben.
Fakten klar benennen, ohne sich über einzelne Gruppen oder stereotype Bilder lustig zu machen.
Und wenn genau das im Raum passiert – dann braucht es raumhaltende Personen, die das einfangen und reflektieren.
Denn eines steht für mich fest:
Jeder Mensch hat Würde verdient.
Auch – und gerade dann – wenn etwas schiefläuft.
Niemand verdient es, stellvertretend für eine Gruppe ausgelacht oder reduziert zu werden. Egal, wie „privilegiert“ diese Gruppe wirkt.
Fehlerfreundlich bleiben – auch das ist sexpositiv
Sexpositivität ist ein junges Konzept – verglichen mit der Dauer des Patriarchats oder dem Alter feministischer Bewegungen allgemein.
Wir stehen also ganz am Anfang. Und da ist es normal, dass nicht alles auf Anhieb rund läuft.
Fehler passieren. Auch gut gemeinte Beiträge können verletzen oder blinde Flecken zeigen.
Aber genau das ist eine Chance zur Weiterentwicklung – wenn wir bereit sind, hinzuschauen und zuzuhören.
Ich bin absolut dagegen, mit dem Finger auf Einzelpersonen zu zeigen.
Denn sie haben nach dem gehandelt, was in unserer Gesellschaft gerade als „normal“ gilt.
Nicht diese Menschen haben per se etwas falsch gemacht – sondern die gesellschaftlichen Strukturen, in denen solche Situationen möglich und oft unsichtbar gemacht werden, haben eine Schieflage.
Auch ich selbst bin nicht frei davon.
Ich habe früher selbst Dinge gesagt, gemacht oder gedacht, die ich heute kritisch sehe.
Aber ich war bereit, zu lernen. Und genau deshalb schreibe ich das hier – nicht aus Abgrenzung, sondern aus Zugehörigkeit zu einer Community, die sich gegenseitig halten und weiterbringen kann.
Sexpositiv zu sein, heißt auch:
Fehler anzuerkennen, ohne Schuld zuzuschieben.
Und Räume so zu gestalten, dass wir alle aus ihnen lernen können – nicht nur performen müssen.
Was ich mir wünsche – und woran ich glaube
Ich bin überzeugt:
Wenn wir es schaffen, solche Verletzungen sichtbar zu machen und abzubauen, dann schaffen wir eine echte Begegnung auf Augenhöhe.
Wie ich schon lange in diesem Blog mal geschrieben habe – ich wünsche mir Frieden.
Ich will kein Teil mehr dieses erbarmungslosen gesellschaftlichen Machtkampfs sein, der immer wieder – oft unbewusst – reproduziert wird.
Ich wünsche mir Frieden zwischen Menschen.
Dass wir uns endlich mal um das kümmern, worum es wirklich geht:
Leben. Das Leben genießen. Miteinander Spaß haben – im Konsens, bewusst, und verbunden.
Und ich glaube: Wenn Menschen wie du und ich – egal welchen Geschlechts – daran arbeiten, dann ist das möglich.
Dann schaffen wir eine Bubble, in der man in Frieden sein kann.
Einen echten Safe Space. Eine Auszeit von der Härte da draußen.
Und vielleicht –
vielleicht ist das auch ein Modell für mehr.
Für echte Veränderung.
Für eine Gesellschaft –
die Frieden lebt.