Überdenken des FRIES: Warum Enthusiasmus und Embodied ausgetauscht werden

21. Mai 2023
Ingo
Werte | Wissen

Das FRIES-Modell (Frei gegeben, Umkehrbar, Informiert, Embodied, Spezifisch) bietet eine alternative Perspektive zur traditionellen Vorstellung von „Enthusiasmus“ als alleinige Grundlage für Konsens. Das Modell betont, dass Einvernehmen nicht nur aufgrund eines enthusiastischen „Ja“ gegeben wird, sondern auch andere Aspekte wie Freiwilligkeit, Umkehrbarkeit, Information und Körperlichkeit berücksichtigt werden sollten.

Die gängige Vorstellung, dass nur ein enthusiastisches Ja als Konsens gilt, kann für bestimmte Menschen, wie Trauma-Überlebende oder Sexarbeiter:innen, hinderlich sein, da sie möglicherweise mit gemischten Gefühlen und Bedürfnissen konfrontiert sind. Das Modell weist darauf hin, dass es wichtig ist, die individuellen Bedürfnisse und Empfindungen zu berücksichtigen, anstatt ausschließlich Enthusiasmus zu fordern.

Trauma-Überlebende beispielsweise müssen möglicherweise bewusst daran arbeiten, ihre Körperempfindungen wahrzunehmen und können Lust, Begehren und Freiwilligkeit mit anderen Emotionen wie Zögern oder Beklemmung erleben. Die Forderung nach Enthusiasmus berücksichtigt diese vielschichtigen Erfahrungen nicht und ist daher nicht traumabewusst.

Auch für Sexarbeiter:innen ist nicht immer jeder Aspekt ihrer Arbeit enthusiastisch, aber das bedeutet nicht, dass kein Konsens vorliegt. Die Bereitschaft, bestimmte Handlungen gegen Entgelt auszuführen, bedeutet nicht automatisch einen Mangel an Konsens. Es ist wichtig, die individuellen Umstände und die informierte Zustimmung in Betracht zu ziehen.

Darüber hinaus weist das Modell darauf hin, dass Neugier und der Wunsch, etwas Neues auszuprobieren, nicht zwangsläufig mit Enthusiasmus einhergehen müssen. Neugier kann von Nervosität und Angst begleitet sein, und ein Ausdruck wie „Lass es uns probieren“ mag nicht enthusiastisch klingen, kann aber dennoch eine informierte Zustimmung darstellen.

Es ist wichtig zu betonen, dass Enthusiasmus großartig ist und ein positiver Aspekt des Konsenses sein kann. Allerdings zeigt das FRIES-Modell auf, dass Enthusiasmus nicht die einzige Messlatte für Konsens ist. Es ermutigt uns, auf andere Konsensindikatoren zu achten, wie offene Kommunikation, Körpersprache und den Umgang mit persönlichen und fremden Grenzen. Konsens ist ein komplexes Konzept, das sich nicht allein auf das FRIES-Modell reduzieren lässt. Es umfasst verschiedene Aspekte wie Kommunikation, Körperlichkeit und den Respekt vor individuellen Grenzen und Bedürfnissen.

Autor*in

Ingo

Ingo (er/ihm) ist der Initiator der 6+ Community in Stuttgart. In Berlin erlebte er sexpositive Räume, in denen selbstbewusste, selbstwirksame und raumbewusste Personen lebten, die die Vielfalt der Menschen vollständig akzeptierten. Diese Räume zeichneten sich dadurch aus, dass das Setzen von Grenzen und das Akzeptieren eines "Nein" mit Leichtigkeit und in einer Atmosphäre der Unbeschwertheit geschah. Diese Basis schuf eine spürbare Sicherheit für alle Beteiligten. Diese Sicherheit ermöglichte es, dass aus den übereinstimmenden Bedürfnissen und Wünschen von zwei oder mehr Personen Situationen entstanden, die die schönsten zwischenmenschlichen Aktivitäten beinhalteten. Diese Aktivitäten konnten die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Menschen stillen und trugen zu einer glücklichen, entspannenden Atmosphäre bei, die zum Reflektieren, Ausprobieren neuer Dinge, voneinander Lernen und einfach nur Sein einlud. Aus dieser Erfahrung und unter Beibehaltung der Leichtigkeit und des sicheren Raumes speist sich seine Vision für die sexpositive Community. Diese soll eine bunte Vielfalt von Menschen beherbergen, die aus ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten voneinander lernen. So soll eine Community entstehen, in der verschiedene Kinks, Vorlieben, Identitäten und Gruppierungen nebeneinander existieren und Schnittmengen bilden können. Diese Einheit soll auf dem geteilten Menschenbild der feministischen Sexpositivität basieren.

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