FRIES: Die Grundprinzipien des Konsens‘

20. März 2023
Ingo
Einstieg | Psychologie | Werte | Wissen

Im Kontext des Einvernehmens und der Zustimmung spielen klare Kommunikation und gegenseitige Einwilligung eine entscheidende Rolle. Ein Modell, das diese Prinzipien veranschaulicht, ist das Akronym FRIES.

Es steht für Frei gegeben, Reversibel/Umkehrbar, Informiert, Embodied/Enthusiastisch und Spezifisch.

Diese fünf Prinzipien dienen als Leitfaden für den respektvollen Umgang miteinander und werden im Folgenden genauer erläutert.

Frei gegeben:

Einvernehmen basiert auf Freiwilligkeit. Alle beteiligten Personen müssen die Freiheit haben, ihre Zustimmung zu geben oder abzulehnen, ohne dabei Druck, Gewalt oder Manipulation ausgesetzt zu sein. Keiner sollte sich gezwungen fühlen, gegen seinen Willen zu handeln oder eine Handlung zu akzeptieren, mit der er nicht einverstanden ist.

Reversibel/Umkehrbar:

Einverständnis kann jederzeit widerrufen werden, selbst wenn es zuvor gegeben wurde. Jede Person hat das Recht, ihre Meinung zu ändern und ihre Zustimmung zurückzuziehen. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten wissen, dass sie das Recht haben, „Nein“ zu sagen oder die Handlung abzubrechen, wenn sie sich unwohl fühlen oder nicht mehr einverstanden sind.

Informiert:

Zustimmung erfordert ein klares Verständnis der Handlung und ihrer Konsequenzen. Alle Beteiligten müssen über alle relevanten Informationen informiert sein und verstehen, worin sie einwilligen. Offene und ehrliche Kommunikation spielt hierbei eine entscheidende Rolle, um sicherzustellen, dass jeder über die Absichten, Grenzen und Risiken Bescheid weiß.

Embodied/Enthusiastisch:

Eine positive Zustimmung bedeutet, dass alle involvierten Personen aktiv einverstanden sind und die Handlung tatsächlich wollen. Es ist wichtig, dass niemand sich dazu gedrängt oder verpflichtet fühlt, sondern dass alle Beteiligten aus eigenem Antrieb und mit Begeisterung handeln.

Lese mehr darüber, warum Embodied und Enthusiasmus ausgetauscht werden.
Spezifisch:

Zustimmung bezieht sich auf eine bestimmte Handlung. Es ist wichtig zu verstehen, dass Einverständnis für eine Handlung nicht automatisch Einverständnis für andere Handlungen einschließt. Jede sexuelle Handlung erfordert eine eigene Zustimmung. Es ist notwendig, dass alle Beteiligten klar und eindeutig kommunizieren, was sie möchten und was nicht, um sicherzustellen, dass die Zustimmung für jede Handlung spezifisch ist.

Die Prinzipien von FRIES dienen als Grundlage für einvernehmliche und respektvolle Beziehungen. Sie betonen die Wichtigkeit von Freiwilligkeit, klarem Austausch von Informationen, positiver Zustimmung und klaren Grenzen. Indem wir diese Prinzipien in unseren Beziehungen anwenden, können wir sicherstellen, dass wir auf der Grundlage des respektvollen Umgangs handeln und das Einvernehmen aller Beteiligten gewährleisten.

Es ist wichtig zu beachten, dass das FRIES-Modell kein starres Regelwerk ist, sondern vielmehr als Leitfaden und Ausgangspunkt betrachtet werden sollte. Es bietet Raum für individuelle Interpretationen und Anpassungen, um den Bedürfnissen und Grenzen aller Beteiligten gerecht zu werden. Jeder Mensch ist einzigartig und es ist wichtig, ehrlich miteinander zu kommunizieren, um sicherzustellen, dass alle gleichermaßen berücksichtigt werden, unabhängig von ihren Unterschieden.

Die Anwendung der FRIES-Prinzipien erfordert eine kontinuierliche Reflexion und Offenheit für Kommunikation. Es ermutigt uns, unsere eigenen Wünsche und Grenzen zu erkunden und sie klar zu artikulieren. Gleichzeitig erfordert es Sensibilität und Aufmerksamkeit, um die Bedürfnisse und Grenzen anderer Menschen zu respektieren.

Das Verständnis und die Umsetzung von FRIES ermöglichen uns nicht nur, einvernehmliche sexuelle Begegnungen zu schaffen, sondern tragen auch zur Förderung einer Kultur des Respekts, der Einwilligung und der Gewaltfreiheit bei. Es hilft uns, uns von gesellschaftlichen Vorstellungen und Normen zu lösen, die Druck oder Erwartungen in Bezug auf sexuelle Handlungen ausüben.

Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass FRIES nicht ausschließlich auf den Kontext von sexuellen Beziehungen beschränkt ist. Die Prinzipien von Freiheit, Umkehrbarkeit, Informiertheit, Enthusiasmus und Spezifität können auf alle Formen von Beziehungen und Interaktionen angewendet werden, in denen Einvernehmen eine Rolle spielt.

Indem wir uns bewusst mit den FRIES-Prinzipien auseinandersetzen, können wir ein tieferes Verständnis für Einvernehmen und respektvolle Beziehungen entwickeln. Wir können unsere Kommunikationsfähigkeiten verbessern, um Missverständnisse zu reduzieren und sicherzustellen, dass alle Beteiligten sich sicher und wohl fühlen.

Die FRIES-Prinzipien ermutigen uns, Verantwortung für unser eigenes Handeln zu übernehmen und uns aktiv um die Zustimmung anderer zu bemühen. Sie eröffnen uns die Möglichkeit, Beziehungen aufzubauen, die von Respekt, Vertrauen und Ehrlichkeit geprägt sind.

Letztendlich trägt die Anwendung der FRIES-Prinzipien dazu bei, eine Kultur des Einvernehmens zu fördern und das Wohlbefinden aller Beteiligten zu gewährleisten. Es ist ein Schritt in Richtung einer Gesellschaft, in der Einvernehmen, Respekt und Gewaltfreiheit in allen Bereichen des Lebens selbstverständlich sind.

Autor*in

Ingo

Ingo (er/ihm) ist der Initiator der 6+ Community in Stuttgart. In Berlin erlebte er sexpositive Räume, in denen selbstbewusste, selbstwirksame und raumbewusste Personen lebten, die die Vielfalt der Menschen vollständig akzeptierten. Diese Räume zeichneten sich dadurch aus, dass das Setzen von Grenzen und das Akzeptieren eines "Nein" mit Leichtigkeit und in einer Atmosphäre der Unbeschwertheit geschah. Diese Basis schuf eine spürbare Sicherheit für alle Beteiligten. Diese Sicherheit ermöglichte es, dass aus den übereinstimmenden Bedürfnissen und Wünschen von zwei oder mehr Personen Situationen entstanden, die die schönsten zwischenmenschlichen Aktivitäten beinhalteten. Diese Aktivitäten konnten die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Menschen stillen und trugen zu einer glücklichen, entspannenden Atmosphäre bei, die zum Reflektieren, Ausprobieren neuer Dinge, voneinander Lernen und einfach nur Sein einlud. Aus dieser Erfahrung und unter Beibehaltung der Leichtigkeit und des sicheren Raumes speist sich seine Vision für die sexpositive Community. Diese soll eine bunte Vielfalt von Menschen beherbergen, die aus ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten voneinander lernen. So soll eine Community entstehen, in der verschiedene Kinks, Vorlieben, Identitäten und Gruppierungen nebeneinander existieren und Schnittmengen bilden können. Diese Einheit soll auf dem geteilten Menschenbild der feministischen Sexpositivität basieren.

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