CSD, rechte Demos & der Ruf nach mehr Konsens

27. Juli 2025
Ingo
Meinungen

CSD, rechte Demos & der Ruf nach mehr Konsens

Der CSD Stuttgart war dieses Jahr riesig – bunt, laut, voller Power. Gleichzeitig marschierten in Berlin die größten rechten Gegendemos seit Jahren. Stuttgart blieb davon vergleichsweise verschont – aber die gesellschaftliche Stimmung ist spürbar: Spaltung, Angst, Fronten.

Ich habe mich gefragt: Warum gehen Menschen eigentlich gegen Vielfalt auf die Straße? Was steckt dahinter?

Ein Satz aus einer Doku ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ein Mann aus dem rechten Block sagte:
„Solange die mich nicht damit behelligen, hab ich nichts gegen die.“

Klingt harmlos – aber dahinter steckt Angst. Angst, belästigt zu werden. Angst, dass schwule Männer ihnen vielleicht genauso übergriffig begegnen könnten, wie sie selbst mit Frauen umgehen oder es aus der eigenen Welt kennen – oft ohne Konsens, oft mit Druck.

Eine Freundin sagte dazu trocken:
„Wenn ich davon ausgehe, wie diese Typen mit Frauen umgehen, kann ich gut verstehen, dass sie Angst haben, dass ihnen mal jemand genauso kommt.“

Und genau hier liegt ein blinder Fleck – auch innerhalb der queeren Szene.
Konsens wird oft vorausgesetzt, aber nicht immer gelebt. Gerade im schwulen männlichen Kontext kommt es zu Grenzüberschreitungen, die im sexpositiven Umfeld klar als übergriffig gelten.

Beispiel vom CSD: Ich trug einen bunten Onesie. Eine Gruppe schwuler Männer fragte halb im Scherz, ob sie mal reinschauen dürften – wartete aber keine Antwort ab. Einer zog am Stoff, ein anderer fasste mir in den Schritt. Ungefragt. Klar, „nett“ gemeint – aber trotzdem übergriffig. Punkt.

Mein Punkt: Konsens geht alle an.

Nicht nur Frauen, nicht nur Queers, nicht nur Linke. Auch Schwule. Auch sexpositive Menschen. Auch Menschen mit einem anderen Weltbild.

Denn wenn wir wirklich wollen, dass sich Menschen sicher fühlen – egal, wie sie leben oder denken – müssen wir Räume schaffen, in denen klar ist:
👉 Du darfst Nein sagen.
👉 Du wirst respektiert.
👉 Niemand hat das Recht, über deine Grenzen zu gehen.


Niederschwellige Räume für alle

Was wir brauchen, sind Räume, in denen Menschen offen über Konsens, Respekt und Nähe sprechen können – ohne Vorwissen, ohne Scham, ohne Vorurteil.
Räume, die nicht voraussetzen, dass jemand schon ein bestimmtes Weltbild teilt.
Räume, die das menschliche Bedürfnis nach Verbindung, Nähe und Zugehörigkeit ernst nehmen – auch bei Menschen, die vielleicht bisher keinen Zugang zu solchen Themen hatten.

Diese Räume dürfen nicht auf Kosten von Safe Spaces entstehen. Die sexpositive Community braucht ihre Schutzräume – frei von Rechtfertigungsdruck.
Aber daneben braucht es neue Räume, die auch für Menschen mit Unsicherheit oder konservativem Hintergrund offen sind. Nicht, um Vielfalt zu erklären – sondern um Sicherheit, Respekt und Miteinander neu erfahrbar zu machen.

Nicht jede:r wird sofort alles verstehen. Und das ist okay.
Wir müssen nicht alle gleich denken – aber wir können lernen, uns zu begegnen. Mit Respekt. Mit Klarheit. Mit einem echten Ja und einem echten Nein.


Und nicht nur politische Ränder profitieren von Konsenskultur.
Auch in der Mitte der Gesellschaft, in Arbeitskontexten, Schulen, Familien, Behörden – überall fehlt es an Bewusstsein für Konsens.
Viele sind in Strukturen aufgewachsen, in denen Druck, Kontrolle und Schweigen normal waren.
Das prägt. Und das hinterlässt Unsicherheit, Wut oder Misstrauen.

Wer auf der Straße laut wird, zeigt oft, wo es an Verbindung fehlt. Wo das Gefühl fehlt, gehört, respektiert oder sicher zu sein.
Diese Reaktionen sind nicht immer okay – aber sie sind menschlich. Und sie zeigen, woran wir arbeiten müssen: an echter Beziehung. An Kommunikation auf Augenhöhe. An einem Umgang, der Freiheit nicht als Bedrohung, sondern als Einladung versteht.


Deshalb brauchen diese Räume:

🔸 Öffentliche Finanzierungstatt weiterer Kürzungen.
Gerade in Zeiten, in denen queere, feministische oder sexualpädagogische Arbeit politisch angegriffen wird, brauchen wir klare Zeichen: Diese Themen sind nicht Luxus. Sie sind Grundvoraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.

🔸 Politische Rückendeckungstatt Schikanen.
Beispiel Stuttgart: Die Vergnügungssteuer trifft sexpositive Veranstaltungen hart. Clubs, die konsensorientierte Räume schaffen wollen, stoßen oft auf unnötige Hürden und Misstrauen. Genau diese Orte sind aber essenziell – denn sie leben vor, wie Respekt und Vielfalt praktisch funktionieren.

🔸 Professionelle, diverse Trägerstrukturenmit Beteiligung der Community.
Die sexpositive Szene bringt jede Menge Erfahrung mit: in Konsenskultur, Raumgestaltung, Awareness, Inklusion. Dieses Wissen darf nicht ignoriert werden – es muss Teil der Lösung sein.


Konsens ist kein Nischenthema. Es ist der soziale Kitt, den wir brauchen.

Für mehr Miteinander. Mehr Vertrauen. Und eine Gesellschaft, in der Unterschiedlichkeit kein Problem ist – sondern Einladung.

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Autor*in

Ingo

Ich bin Ingo (er/ihm) und Initiator der 6+ Community in Stuttgart. Die Idee dazu entstand aus meinen eigenen Erfahrungen: In Berlin habe ich sexpositive Räume kennengelernt, in denen Menschen auf selbstbewusste, raumbewusste und respektvolle Weise miteinander umgingen. Besonders beeindruckt hat mich, wie leicht und selbstverständlich dort Grenzen kommuniziert und akzeptiert wurden – ein „Nein“ war kein Bruch, sondern Teil eines ehrlichen, achtsamen Miteinanders. Diese Atmosphäre war für mich gleichzeitig leicht, verbindend und sicher. Was ich hier teile, hat keinen wissenschaftlichen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Ich schreibe aus meinem Erleben, nicht aus dem Anspruch, alle Perspektiven oder systematischen Zusammenhänge vollständig durchdrungen zu haben. Mir ist bewusst, dass persönliche Erfahrungen nicht gleichzusetzen sind mit statistischer Evidenz oder universellen Wahrheiten – und trotzdem sind sie echt. Auch dann, wenn sie scheinbar im Widerspruch zu wissenschaftlichen Aussagen stehen. Ich freue mich, wenn du mich auf problematische Verallgemeinerungen hinweist – ich lerne gern dazu. Und gleichzeitig ist es Teil meiner Lebensrealität, dass ich bestimmte Dinge so erlebt habe. Das ist die Basis meiner Arbeit und meines Engagements: Räume zu gestalten, in denen Vielfalt gelebt wird, wo Menschen voneinander lernen, sich ausprobieren und einfach sie selbst sein können. Meine Vision für die sexpositive Community ist kein fertiges Konzept, sondern ein offener Prozess. Inspiriert von einem feministischen, menschenfreundlichen Verständnis von Sexualität – bewusst, einvernehmlich, reflektiert. Dabei geht es für mich nicht nur um Freiheit, sondern auch um Verantwortung: für sich selbst, füreinander und für die Räume, die wir gemeinsam schaffen.

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