CSD, rechte Demos & der Ruf nach mehr Konsens
Der CSD Stuttgart war dieses Jahr riesig – bunt, laut, voller Power. Gleichzeitig marschierten in Berlin die größten rechten Gegendemos seit Jahren. Stuttgart blieb davon vergleichsweise verschont – aber die gesellschaftliche Stimmung ist spürbar: Spaltung, Angst, Fronten.
Ich habe mich gefragt: Warum gehen Menschen eigentlich gegen Vielfalt auf die Straße? Was steckt dahinter?
Ein Satz aus einer Doku ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ein Mann aus dem rechten Block sagte:
„Solange die mich nicht damit behelligen, hab ich nichts gegen die.“
Klingt harmlos – aber dahinter steckt Angst. Angst, belästigt zu werden. Angst, dass schwule Männer ihnen vielleicht genauso übergriffig begegnen könnten, wie sie selbst mit Frauen umgehen oder es aus der eigenen Welt kennen – oft ohne Konsens, oft mit Druck.
Eine Freundin sagte dazu trocken:
„Wenn ich davon ausgehe, wie diese Typen mit Frauen umgehen, kann ich gut verstehen, dass sie Angst haben, dass ihnen mal jemand genauso kommt.“
Und genau hier liegt ein blinder Fleck – auch innerhalb der queeren Szene.
Konsens wird oft vorausgesetzt, aber nicht immer gelebt. Gerade im schwulen männlichen Kontext kommt es zu Grenzüberschreitungen, die im sexpositiven Umfeld klar als übergriffig gelten.
Beispiel vom CSD: Ich trug einen bunten Onesie. Eine Gruppe schwuler Männer fragte halb im Scherz, ob sie mal reinschauen dürften – wartete aber keine Antwort ab. Einer zog am Stoff, ein anderer fasste mir in den Schritt. Ungefragt. Klar, „nett“ gemeint – aber trotzdem übergriffig. Punkt.
Mein Punkt: Konsens geht alle an.
Nicht nur Frauen, nicht nur Queers, nicht nur Linke. Auch Schwule. Auch sexpositive Menschen. Auch Menschen mit einem anderen Weltbild.
Denn wenn wir wirklich wollen, dass sich Menschen sicher fühlen – egal, wie sie leben oder denken – müssen wir Räume schaffen, in denen klar ist:
👉 Du darfst Nein sagen.
👉 Du wirst respektiert.
👉 Niemand hat das Recht, über deine Grenzen zu gehen.
Niederschwellige Räume für alle
Was wir brauchen, sind Räume, in denen Menschen offen über Konsens, Respekt und Nähe sprechen können – ohne Vorwissen, ohne Scham, ohne Vorurteil.
Räume, die nicht voraussetzen, dass jemand schon ein bestimmtes Weltbild teilt.
Räume, die das menschliche Bedürfnis nach Verbindung, Nähe und Zugehörigkeit ernst nehmen – auch bei Menschen, die vielleicht bisher keinen Zugang zu solchen Themen hatten.
Diese Räume dürfen nicht auf Kosten von Safe Spaces entstehen. Die sexpositive Community braucht ihre Schutzräume – frei von Rechtfertigungsdruck.
Aber daneben braucht es neue Räume, die auch für Menschen mit Unsicherheit oder konservativem Hintergrund offen sind. Nicht, um Vielfalt zu erklären – sondern um Sicherheit, Respekt und Miteinander neu erfahrbar zu machen.
Nicht jede:r wird sofort alles verstehen. Und das ist okay.
Wir müssen nicht alle gleich denken – aber wir können lernen, uns zu begegnen. Mit Respekt. Mit Klarheit. Mit einem echten Ja und einem echten Nein.
Und nicht nur politische Ränder profitieren von Konsenskultur.
Auch in der Mitte der Gesellschaft, in Arbeitskontexten, Schulen, Familien, Behörden – überall fehlt es an Bewusstsein für Konsens.
Viele sind in Strukturen aufgewachsen, in denen Druck, Kontrolle und Schweigen normal waren.
Das prägt. Und das hinterlässt Unsicherheit, Wut oder Misstrauen.
Wer auf der Straße laut wird, zeigt oft, wo es an Verbindung fehlt. Wo das Gefühl fehlt, gehört, respektiert oder sicher zu sein.
Diese Reaktionen sind nicht immer okay – aber sie sind menschlich. Und sie zeigen, woran wir arbeiten müssen: an echter Beziehung. An Kommunikation auf Augenhöhe. An einem Umgang, der Freiheit nicht als Bedrohung, sondern als Einladung versteht.
Deshalb brauchen diese Räume:
🔸 Öffentliche Finanzierung – statt weiterer Kürzungen.
Gerade in Zeiten, in denen queere, feministische oder sexualpädagogische Arbeit politisch angegriffen wird, brauchen wir klare Zeichen: Diese Themen sind nicht Luxus. Sie sind Grundvoraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.
🔸 Politische Rückendeckung – statt Schikanen.
Beispiel Stuttgart: Die Vergnügungssteuer trifft sexpositive Veranstaltungen hart. Clubs, die konsensorientierte Räume schaffen wollen, stoßen oft auf unnötige Hürden und Misstrauen. Genau diese Orte sind aber essenziell – denn sie leben vor, wie Respekt und Vielfalt praktisch funktionieren.
🔸 Professionelle, diverse Trägerstrukturen – mit Beteiligung der Community.
Die sexpositive Szene bringt jede Menge Erfahrung mit: in Konsenskultur, Raumgestaltung, Awareness, Inklusion. Dieses Wissen darf nicht ignoriert werden – es muss Teil der Lösung sein.
Konsens ist kein Nischenthema. Es ist der soziale Kitt, den wir brauchen.
Für mehr Miteinander. Mehr Vertrauen. Und eine Gesellschaft, in der Unterschiedlichkeit kein Problem ist – sondern Einladung.