Sexological Bodywork: Eine moderne Methode für sexuelle Heilung und Körperarbeit

11. September 2024
Ingo
Psychologie

Sexological Bodywork ist eine relativ neue Methode der sexuellen Heilung und somatischen Körperarbeit, die darauf abzielt, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Sexualität bewusst zu erleben und emotionale oder körperliche Blockaden zu lösen. In den letzten Jahren hat sich diese Praxis als seriöser Ansatz zur sexuellen Selbsterfahrung und Heilung etabliert, aber wie unterscheidet sie sich von traditionellen Praktiken wie Tantra oder Neotantra, und was sagt die Wissenschaft dazu? In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die Ursprünge, die Ausbildung und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser spannenden Methode.

Herkunft des Sexological Bodywork

Sexological Bodywork wurde in den frühen 2000er Jahren von Joseph Kramer entwickelt, einem Pionier in der somatischen Sexualtherapie. Kramer gründete das Institute for the Advanced Study of Human Sexuality (IASHS) in Kalifornien und entwickelte den Ansatz, um Menschen eine bewusste und praktische Methode zur Verbesserung ihrer sexuellen Gesundheit und ihres Wohlbefindens zu bieten. Inspiriert von Körperarbeitstechniken wie Feldenkrais und Alexander-Technik sowie Elementen aus dem Neotantra, fokussiert sich Sexological Bodywork auf das bewusste Erleben des Körpers durch Atemtechniken, Berührung und Achtsamkeit.

Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen von Neotantra und Tantra

Sexological Bodywork und Neotantra teilen einige Gemeinsamkeiten, insbesondere im Hinblick auf den achtsamen Umgang mit Sexualität und die Betonung der Verbindung von Körper und Geist. Beide Methoden verwenden Berührung, Atemarbeit und Achtsamkeit, um Menschen zu helfen, ihre sexuelle Energie zu spüren und zu lenken.

Gemeinsamkeiten:

  • Achtsamkeit und Präsenz: Wie im Neotantra spielt auch im Sexological Bodywork die Achtsamkeit eine zentrale Rolle. Es geht darum, im Moment zu sein, den Körper bewusst wahrzunehmen und sich auf die eigene Sexualität zu konzentrieren.
  • Körperarbeit: In beiden Ansätzen wird der Körper als wichtiger Kanal für Heilung und Selbstentfaltung betrachtet. Berührungen sind integraler Bestandteil, um Blockaden zu lösen und das Körperbewusstsein zu steigern.
  • Selbstheilung und Selbsterforschung: Beide Methoden sind darauf ausgelegt, den Menschen zu helfen, emotionale und sexuelle Blockaden zu erkennen und aufzulösen.

Abgrenzungen:

  • Fehlender spiritueller Fokus: Im Gegensatz zum traditionellen Tantra, das eine spirituelle Praxis ist und Sexualität als Weg zur Erleuchtung betrachtet, ist Sexological Bodywork rein körper- und erlebnisorientiert. Es gibt keinen metaphysischen oder spirituellen Kontext.
  • Professionelle und therapeutische Ausrichtung: Während Neotantra oft in gemeinschaftlichen oder Workshop-Formaten stattfindet, ist Sexological Bodywork stärker auf Einzeltherapie und eine klare therapeutische Struktur ausgerichtet. Es geht um den professionellen Umgang mit Sexualität im Rahmen von Therapie und Coaching.

Wie sieht die Ausbildung aus?

Die Ausbildung zur/zum Sexological Bodyworkerin ist intensiv und professionell strukturiert. Sie umfasst in der Regel eine Kombination aus theoretischem Wissen und praktischer Erfahrung, um sicherzustellen, dass die Praktizierenden ihre Klientinnen sicher und kompetent begleiten können. Die Ausbildung dauert oft mehrere Monate und wird von anerkannten Institutionen wie dem Institute for the Advanced Study of Human Sexuality (IASHS) oder dem International Institute of Sexological Bodywork angeboten.

Inhalte der Ausbildung:

  • Körperarbeitstechniken: Lernen, wie Berührungen und somatische Methoden zur sexuellen Heilung und Selbsterfahrung genutzt werden können.
  • Atemarbeit und Achtsamkeit: Methoden zur Lenkung und Bewusstwerdung der sexuellen Energie.
  • Berührung und Grenzen: Professioneller und respektvoller Umgang mit Berührung sowie die Vermittlung der Bedeutung von klaren Grenzen.
  • Sexuelle Anatomie und Physiologie: Umfassendes Wissen über die Anatomie der Geschlechtsorgane und die physiologischen Prozesse der sexuellen Erregung.
  • Coaching-Methoden: Techniken zur Begleitung und Unterstützung von Menschen in ihrer sexuellen Heilung und Selbsterfahrung.

Die Ausbildung endet oft mit einer Zertifizierung und bereitet die Absolvent*innen darauf vor, in Einzelarbeit oder Gruppenformate wie Workshops oder Retreats zu führen.

Studien zur Wirksamkeit und wissenschaftliche Auseinandersetzung

Es gibt bisher nur wenige groß angelegte Studien zur Wirksamkeit von Sexological Bodywork, doch erste Forschungsergebnisse und Erfahrungsberichte deuten auf positive Effekte hin. Eine Untersuchung des IASHS ergab, dass viele Klient*innen nach der Teilnahme an Sitzungen eine gesteigerte Körperwahrnehmung, mehr sexuelle Zufriedenheit und eine bessere emotionale Regulation berichteten.

Schlüsselergebnisse bisheriger Studien:

  • Verbesserte Körperwahrnehmung: Klient*innen berichten, dass sie sich nach der Teilnahme an Sitzungen bewusster über ihren Körper und ihre Empfindungen sind.
  • Emotionale Heilung: Einige Studien deuten darauf hin, dass somatische Körperarbeit wie Sexological Bodywork Menschen helfen kann, emotionale Traumata und Schamgefühle im Zusammenhang mit ihrer Sexualität zu verarbeiten.
  • Besseres Sexualleben: Viele Teilnehmende berichten von einer verbesserten sexuellen Zufriedenheit und einem erhöhten Selbstbewusstsein in Bezug auf ihre Sexualität.

Da es sich um einen relativ neuen Ansatz handelt, steht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Sexological Bodywork jedoch noch am Anfang. Forschende sind sich einig, dass mehr empirische Studien notwendig sind, um die langfristige Wirksamkeit und die genauen Mechanismen der sexuellen Heilung besser zu verstehen.

Was sagt die Wissenschaft?

Die Wissenschaft sieht Sexological Bodywork als eine somatische Therapieform, die im Bereich der sexuellen Gesundheit und Therapie einen einzigartigen Ansatz bietet. Sexological Bodywork wird oft mit körperorientierten Therapien wie der Körperpsychotherapie verglichen, da beide Methoden den Körper als zentrales Element der Heilung ansehen. Forscher*innen wie Dr. Patti Britton, eine Pionierin in der Sexualberatung, sehen großes Potenzial in der somatischen Arbeit, da sie eine direkte Verbindung zwischen Körper und Geist herstellen kann.

Jedoch gibt es auch kritische Stimmen. Einige Wissenschaftler*innen weisen darauf hin, dass die Wirksamkeit von Sexological Bodywork in Bezug auf tiefe emotionale oder sexuelle Traumata weiter erforscht werden muss. Es wird gefordert, dass klarere ethische Leitlinien entwickelt werden, um sicherzustellen, dass Berührungen in einem sicheren und respektvollen Rahmen stattfinden.

Übergriffe in Sexological Bodywork und ethische Standards: Da Sexological Bodywork eine stark körperliche und intime Therapieform ist, besteht das Risiko von Übergriffen oder unangemessenen Grenzüberschreitungen. In der Vergangenheit wurden vereinzelt Fälle von Missbrauch durch nicht zertifizierte oder unethisch handelnde Praktizierende bekannt. Dies hat zu einer verstärkten Betonung auf klare ethische Standards und neue Richtlinien innerhalb der Branche geführt, um Klient*innen zu schützen. Zertifizierte Institutionen und Plattformen wie Trusted Bodywork setzen strikte Verhaltensregeln und Transparenz durch, um das Risiko von Missbrauch zu minimieren.

Risiken und Selbstverantwortung: Trotz der positiven Effekte dieser Praxis birgt Sexological Bodywork das Risiko emotionaler Überforderung, insbesondere bei Menschen mit unverarbeiteten Traumata. Es ist entscheidend, dass Klient*innen selbst Verantwortung übernehmen, indem sie sicherstellen, dass sie sich in einer sicheren Umgebung befinden und bei erfahrenen, zertifizierten Fachleuten Unterstützung suchen. Ein achtsames Abklären von Grenzen und Erwartungen sowie eine bewusste Selbstreflexion vor und nach den Sitzungen sind unerlässlich, um eine gesunde und positive Erfahrung zu gewährleisten.

Fazit

Sexological Bodywork ist eine kraftvolle Methode, die Menschen dabei helfen kann, ihre Sexualität auf eine achtsame und heilende Weise zu erkunden. Im Unterschied zu traditionellen tantrischen Ansätzen, die oft spirituell geprägt sind, liegt der Fokus hier auf der somatischen Erfahrung und dem bewussten Erleben des eigenen Körpers. Während die Wissenschaft die positiven Auswirkungen zunehmend anerkennt, steht die Forschung zur langfristigen Wirksamkeit dieser Therapieform noch in den Startlöchern. Menschen, die nach sexueller Heilung oder einer tieferen Verbindung zu ihrem Körper suchen, könnten von dieser Methode profitieren – vorausgesetzt, sie finden eine/n vertrauenswürdige/n und erfahrene/n Praktizierende*n.

Autor*in

Ingo

Ingo (er/ihm) ist der Initiator der 6+ Community in Stuttgart. In Berlin erlebte er sexpositive Räume, in denen selbstbewusste, selbstwirksame und raumbewusste Personen lebten, die die Vielfalt der Menschen vollständig akzeptierten. Diese Räume zeichneten sich dadurch aus, dass das Setzen von Grenzen und das Akzeptieren eines "Nein" mit Leichtigkeit und in einer Atmosphäre der Unbeschwertheit geschah. Diese Basis schuf eine spürbare Sicherheit für alle Beteiligten. Diese Sicherheit ermöglichte es, dass aus den übereinstimmenden Bedürfnissen und Wünschen von zwei oder mehr Personen Situationen entstanden, die die schönsten zwischenmenschlichen Aktivitäten beinhalteten. Diese Aktivitäten konnten die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Menschen stillen und trugen zu einer glücklichen, entspannenden Atmosphäre bei, die zum Reflektieren, Ausprobieren neuer Dinge, voneinander Lernen und einfach nur Sein einlud. Aus dieser Erfahrung und unter Beibehaltung der Leichtigkeit und des sicheren Raumes speist sich seine Vision für die sexpositive Community. Diese soll eine bunte Vielfalt von Menschen beherbergen, die aus ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten voneinander lernen. So soll eine Community entstehen, in der verschiedene Kinks, Vorlieben, Identitäten und Gruppierungen nebeneinander existieren und Schnittmengen bilden können. Diese Einheit soll auf dem geteilten Menschenbild der feministischen Sexpositivität basieren.

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