Tantra: Eine Reise in die Welt der Achtsamkeit, Sexualität und Spiritualität

9. September 2024
Ingo
Spiritualität | Tantra

Tantra ist ein uralter spiritueller Weg, der in den letzten Jahrzehnten im Westen zunehmend an Beliebtheit gewonnen hat. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff? Warum fühlen sich so viele Menschen zu dieser Praxis hingezogen, und welche Formen hat Tantra angenommen? In diesem Blogbeitrag werfen wir einen Blick auf die Herkunft des Tantra, seine Ausprägungen, die Reise nach Europa und die Kritik an einigen Institutionen. Außerdem geben wir einen Einblick in die Praxis und die Beweggründe, warum Menschen Tantra praktizieren.

Herkunft des Tantra

Tantra hat seinen Ursprung in Indien und wird auf eine Zeit vor über 1500 Jahren datiert. Es entwickelte sich aus verschiedenen spirituellen Traditionen, die sich sowohl im Hinduismus als auch im Buddhismus wiederfinden. Der Begriff „Tantra“ stammt aus dem Sanskrit und bedeutet so viel wie „Gewebe“ oder „Zusammenhang“, was darauf hindeutet, dass diese Tradition den gesamten Kosmos als ein miteinander verbundenes Netzwerk betrachtet.

Historisch gesehen ist Tantra keine rein sexuelle Lehre, sondern eine tief spirituelle und ganzheitliche Praxis, die alle Aspekte des Lebens umfasst – von der Spiritualität über die Sexualität bis hin zur täglichen Lebenspraxis. Dabei steht die Vereinigung von Gegensätzen wie männlicher und weiblicher Energie, Körper und Geist sowie materieller und spiritueller Welt im Mittelpunkt.

Ausprägungen und Strömungen im Tantra

Innerhalb des Tantra gibt es verschiedene Strömungen, die unterschiedliche Ansätze und Praktiken betonen:

  • Hinduistisches Tantra: Diese Form des Tantra ist stark spirituell geprägt und konzentriert sich auf die Verehrung von Gottheiten, die Arbeit mit Mantras, Chakren und Meditation. Hier steht das Ziel der Erleuchtung und der spirituellen Verbindung im Vordergrund.
  • Buddhistisches Tantra (Vajrayana): Auch im Buddhismus gibt es eine tantrische Tradition, die stark auf Meditation und Visualisierung basiert. Hier wird die Erleuchtung durch das Erwecken der eigenen inneren Buddhanatur angestrebt.
  • Neotantra: Diese moderne westliche Strömung hat Tantra stark sexualisiert und konzentriert sich oft auf die Verbindung zwischen Spiritualität und Sexualität. Dabei wird die sexuelle Energie als kraftvolles Werkzeug für Heilung und spirituelles Wachstum gesehen.

Wie kam Tantra nach Europa?

Tantra kam im 20. Jahrhundert durch westliche Esoteriker*innen und spirituelle Lehrer nach Europa, die auf ihren Reisen nach Indien und Tibet von den tantrischen Lehren inspiriert wurden. Einer der bekanntesten Wegbereiter war der umstrittene spirituelle Lehrer Osho, der Tantra als Mittel zur sexuellen Befreiung und spirituellen Erleuchtung propagierte. Durch Bücher, Seminare und Retreats erlangte Tantra im Westen schnell an Popularität. Insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren, während der sexuellen Revolution, fand Tantra eine breite Anhängerschaft, da es als spiritueller Weg gesehen wurde, der Sexualität und Spiritualität miteinander verbindet.

Praktiken im Tantra: Wie kann ich mir das vorstellen?

Tantrische Praktiken sind vielfältig und reichen von Meditationen über Atemübungen bis hin zu körperlichen Übungen wie Yoga. Hier einige wichtige Praktiken:

  • Atemtechniken (Pranayama): Die bewusste Kontrolle des Atems ist zentral, um die sexuelle und spirituelle Energie zu lenken und das Bewusstsein zu erweitern.
  • Chakra-Arbeit: Durch Fokussierung auf die Energiezentren des Körpers (Chakren) wird die Lebensenergie (Prana) aktiviert und in Einklang gebracht.
  • Tantra-Massage: Eine sinnliche Massageform, die nicht nur der Entspannung dient, sondern auch die sexuelle Energie bewusst aktiviert.
  • Meditation und Mantras: Geistige Praktiken, die darauf abzielen, das Bewusstsein zu erweitern und spirituelle Energien zu wecken.
  • Rituale und Zeremonien: Viele tantrische Praktiken beinhalten Rituale, die den Körper als heilig und die Sexualität als göttlich feiern.

Warum praktizieren Menschen Tantra?

Menschen praktizieren Tantra aus verschiedenen Gründen. Für manche ist es ein Weg, um tiefe emotionale und spirituelle Heilung zu erfahren, während andere nach einer intensiveren sexuellen Verbindung suchen. Tantra fördert Achtsamkeit, Präsenz und eine tiefe Verbindung mit dem eigenen Körper und dem Partner oder der Partnerin. Es geht darum, Sexualität und Spiritualität nicht als getrennte Bereiche zu sehen, sondern sie als Einheit zu erleben.

Einige häufige Gründe, warum Menschen Tantra praktizieren:

  • Tiefe emotionale und spirituelle Heilung: Tantra bietet viele Werkzeuge, um emotionale Blockaden und sexuelle Traumata zu lösen.
  • Verbesserung der Intimität und Kommunikation: Viele Paare nutzen Tantra, um ihre Beziehung zu vertiefen und ihre sexuelle und emotionale Verbindung zu stärken.
  • Achtsame Sexualität: Tantra lehrt, die Sexualität bewusst zu erleben, ohne auf den Orgasmus als Endziel fokussiert zu sein. Das verlängert die Erregung und intensiviert das Erleben.
  • Spirituelles Wachstum: Für viele ist Tantra ein Weg, um das eigene spirituelle Bewusstsein zu erweitern und eine tiefere Verbindung zu sich selbst und dem Universum zu finden.

Kritik an Tantra und Missbrauch in Institutionen

Trotz der positiven Aspekte gibt es auch Kritik an Tantra, insbesondere im Westen. Einige Institutionen und Lehrer*innen haben die Macht ihrer Position missbraucht, was zu ethisch fragwürdigem und sogar strafrechtlich relevantem Verhalten geführt hat. Ein besonders prominenter Fall ist der von Osho, dem spirituellen Lehrer, der Tantra als Teil seiner Lehre verbreitete. In seiner Gemeinschaft kam es zu verschiedenen Skandalen, darunter Vorwürfe von Machtmissbrauch, sexueller Ausbeutung und kriminellen Machenschaften.

Weitere Fälle von Missbrauch und ethisch problematischem Verhalten in der tantrischen Szene:

  • Moksha Tantra School: Diese Institution geriet in die Schlagzeilen, weil mehrere ehemalige Teilnehmerinnen Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe durch Lehrerinnen öffentlich machten.
  • Agama Yoga: Eine Schule auf der thailändischen Insel Koh Phangan wurde wegen zahlreicher Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs und Machtmissbrauchs durch den Leiter der Schule, Swami Vivekananda Saraswati, kritisiert. Diese Vorwürfe führten zu einer Schließung der Schule und strafrechtlichen Ermittlungen.

Diese Vorfälle zeigen jedoch nur die Spitze des Eisbergs, die letztlich zur Dokumentation gebracht wurden, da sie vor Gerichten verhandelt wurden. Wie auch in anderen Bereichen gibt es vermutlich eine große Dunkelziffer. Einzelnen Instituten, Lehrern oder Richtungen geht in den örtlichen Communitys ein Ruf voraus. Hier kannst du dich informieren oder deine Erfahrungen teilen, um einen sicheren und respektvollen Raum zu gewährleisten.

Fazit

Tantra ist eine tief transformative Praxis, die Spiritualität, Achtsamkeit und Sexualität auf eine einzigartige Weise miteinander verbindet. Es ermöglicht Menschen, sich selbst besser zu verstehen, emotionale Blockaden zu lösen und tiefere Verbindungen zu anderen aufzubauen. Ob als Werkzeug für Heilung, persönliches Wachstum oder eine intensivere Partnerschaft – Tantra bietet ein breites Spektrum an Möglichkeiten, das eigene Leben auf eine erfüllendere Weise zu gestalten. Dennoch ist es wichtig, sich gut über Lehrer*innen und Institutionen zu informieren, um einen sicheren und respektvollen Raum für diese Erfahrung zu gewährleisten.

Autor*in

Ingo

Ingo (er/ihm) ist der Initiator der 6+ Community in Stuttgart. In Berlin erlebte er sexpositive Räume, in denen selbstbewusste, selbstwirksame und raumbewusste Personen lebten, die die Vielfalt der Menschen vollständig akzeptierten. Diese Räume zeichneten sich dadurch aus, dass das Setzen von Grenzen und das Akzeptieren eines "Nein" mit Leichtigkeit und in einer Atmosphäre der Unbeschwertheit geschah. Diese Basis schuf eine spürbare Sicherheit für alle Beteiligten. Diese Sicherheit ermöglichte es, dass aus den übereinstimmenden Bedürfnissen und Wünschen von zwei oder mehr Personen Situationen entstanden, die die schönsten zwischenmenschlichen Aktivitäten beinhalteten. Diese Aktivitäten konnten die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Menschen stillen und trugen zu einer glücklichen, entspannenden Atmosphäre bei, die zum Reflektieren, Ausprobieren neuer Dinge, voneinander Lernen und einfach nur Sein einlud. Aus dieser Erfahrung und unter Beibehaltung der Leichtigkeit und des sicheren Raumes speist sich seine Vision für die sexpositive Community. Diese soll eine bunte Vielfalt von Menschen beherbergen, die aus ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten voneinander lernen. So soll eine Community entstehen, in der verschiedene Kinks, Vorlieben, Identitäten und Gruppierungen nebeneinander existieren und Schnittmengen bilden können. Diese Einheit soll auf dem geteilten Menschenbild der feministischen Sexpositivität basieren.

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